Presseinformation vom 02. Juli 2020
Zehn Jahre Immobilienboom: Preisanstieg geht in die Verlängerung
Frankfurt Wohnungen und Häuser in Deutschland verteuern sich auch nach zehn Jahren Immobilienboom weiter kräftig. Im dritten Quartal 2019 setzte sich der Preisanstieg ungebremst fort, wie eine Auswertung des Hamburger Instituts für Stadt-, Regional- und Wohnforschung (Gewos) für die Deutsche Presse-Agentur zeigt. Unterdessen erwarten Experten weitere Preisaufschläge im neuen Jahr.
Insgesamt schloss der Wohninvestmentmarkt das Jahr mit einem Transaktionsvolumen von rund 20 Milliarden Euro ab. Das übertraf sowohl die Prognose, als auch den 5-10 Jahres Durchschnitt weit übertroffen. Dabei wechselten 2019 nur etwa 135.000 Wohnungen den Besitzer, was in etwa dem Vorjahresniveau entsprach. Der Anstieg des Transaktionsvolumen lässt sich also auf den Preisanstieg zurückführen.
Laut jüngsten Gewos-Daten verteuerten sich Eigentumswohnungen um 8,2 Prozent gemessen am dritten Quartal 2018 auf im Schnitt 2030 Euro je Quadratmeter. Der Anstieg sei im dritten Jahr in Folge unvermindert stark, sagte Geschäftsführerin Carolin Wandzik.
In Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf stiegen die Angebotspreise für Wohnungen gar um 9,0 Prozent. „Auch in den sieben größten deutschen Städten ist kein Abflachen der Dynamik zu sehen.“
Die Daten zeigen, dass sich die Schere zwischen Preisen und Mieten weiter öffnet: Denn die Neuvertragsmieten kletterten im dritten Quartal im Schnitt „nur“ um 3,7 Prozent. Seit Jahren schon steigen die Immobilienpreise weitaus kräftiger als die Mieten. Gerade in Städten ist der Ansturm auf Immobilien ungebrochen. In Zeiten niedriger Zinsen stecken Großanleger Milliarden in den Markt.
Auch bei Häusern kletterten die Preise laut Gewos weiter rasant. Eigenheime verteuerten sich im dritten Quartal um 7,4 Prozent auf 2670 Euro je Quadratmeter im Schnitt. In den sieben größten Städten kosteten Eigenheime mit 6100 Euro je Quadratmeter sogar mehr als das doppelte als im deutschen Mittel, in ostdeutschen Landkreisen waren Häuser dagegen schon für 1500 Euro je Quadratmeter zu haben.
Analysiert hatte Gewos Immobilien in mittlerer Lage und Ausstattung im Alter von 30 Jahren, die auf dem Online-Portal Immobilienscout24 angeboten wurden. Es wurden Wohnungen mit drei Zimmern und 80 Quadratmetern sowie Häuser mit 130 Quadratmetern untersucht.
Boom auch bei Gewerbeimmobilien
Auch bei den Gewerbeimmobilien zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab: Immer mehr Investoren greifen auf die Form der Geldanlage zurück. 2019 wurde der erst im Vorjahr aufgestellte Rekordumsatz um fast ein Fünftel übertroffen, wie mehrere große Maklerhäuser am Montag mitteilten. Das Transaktionsvolumen betrug hier gut 73,4 Milliarden Euro – etwa 19 Prozent mehr, als im Vorjahr.
Insgesamt wechselten Büros, Läden, Hotels und Lager-Immobilien für rund 70 Milliarden Euro den Besitzer. Die Experten von CBRE, JLL, Colliers und BNP Real Estate erwarten auch 2020 eine hohe Nachfrage nach deutschen Gewerbeimmobilien, wegen des knappen Angebots dürfte der Rekord aber nicht erneut fallen. So hält Colliers ein Investmentvolumen von 60 Milliarden Euro für realistisch, BNP Paribas Real Estate erwartet Deals für mehr als 60 Milliarden.
Da die Zinsen niedrig bleiben und Immobilien trotz sinkender Renditen mehr abwerfen als risikoarme Staatsanleihen, stecken Investoren mehr Geld in Büros & Co. „Immer mehr Anleger aus dem In- und Ausland schichten sukzessive ihre Bestände um und erhöhen ihre Immobilienquote“, beobachtet JLL-Deutschland-Chef Timo Tschammler.
Zudem dürften sich viele reiche Privatleute, die bisher ihr Geld auf dem Konto geparkt haben, angesichts der zunehmenden Verbreitung von Strafzinsen nach alternativen Anlagemöglichkeiten umschauen, erwartet Piotr Bienkowski, Deutschland-Chef von BNP Paribas Real Estate. Zugleich bleibt Deutschland den Experten zufolge wegen seiner wirtschaftlichen und politischen Stabilität ein attraktiver Markt für ausländische Investoren.
Wohnungsnot dauert an
Günstige Kredite und die gute Konjunktur haben die Preise für Wohnungen und Häuser in Deutschland hoch getrieben. Immobilien verteuerten sich von 2008 bis 2018 um fast 50 Prozent, wie jüngste Daten des Statistischen Bundesamts zeigen. Seit 2015 habe sich der Boom noch beschleunigt und erfasst selbst dünn besiedelte Landkreise.
Und die Wohnungsnot dauert an: 2019 entstanden laut Bauindustrie 300.000 neue Wohnungen in Deutschland statt 375.000, wie von der großen Koalition angepeilt. Längst kommt die Baubranche der Flut der Aufträge nicht mehr hinterher. 2018 waren zwar 693.000 Wohnungen schon genehmigt, aber noch nicht gebaut. „Deutschland steht in einem Baustau“, sagte Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamts.
Noch Mitte der 1990er Jahre wurden mehr als 600.000 Wohnungen jährlich in Deutschland errichtet – danach stiegen die Immobilienpreise im Schnitt kaum. Über Jahre wurde immer weniger gebaut bis zum Tiefpunkt in der Finanzkrise 2009. Seither geht es aufwärts: Binnen zehn Jahren hat sich der Umsatz mit Wohnungen, Häusern, Grundstücken und Agrarflächen mehr als verdoppelt auf den Rekord von 269 Milliarden Euro, so die deutschen Gutachterausschüsse.
Steigen die Preise nun noch Jahre weiter? „Ein Immobilienboom stirbt nicht an Altersschwäche“, sagte Stefan Mitropoulos von der Landesbank Helaba. „Die vergangenen fünf Immobilienzyklen seit dem Jahr 1975 sind alle mit einer Rezession zu Ende gegangen.“
Die Konjunktur in Deutschland sei aber robust. „Ich sehe keine Rezession und schon gar keine, die ein Sinken der Immobilienpreise auslösen könnte“, sagte Mitropoulos. In weiten Teilen der Bundesrepublik sei Wohnraum zudem noch immer erschwinglich. „Die niedrigen Zinsen für Immobilienkredite gleichen die höheren Preise teils aus.“
Mancherorts ein Überangebot
Für weniger Druck auf dem Land sorgt mancherorts ein Überangebot. In 69 der 401 kreisfreien Städte und Landkreise wurden in den vergangenen zwei Jahren mehr als 50 Prozent mehr Wohnungen gebaut als nötig, stellte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fest. „Die Folge ist Leerstand“, sagte IW-Experte Michael Voigtländer.
In den Städten hingegen wächst die Furcht vor Übertreibungen. „Die Blasengefahr ist auch hoch, weil die Preise vielerorts dem mittleren Einkommen beziehungsweise Eigenkapital entronnen sind“, warnte der Immobilienspezialist Empirica. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sieht die Signale „zumindest auf Gelb“. Und selbst die zurückhaltende Bundesbank meint, die Immobilienpreise in Städten seien bis zu 30 Prozent höher als ökonomisch begründbar.
Die Warnungen bedeuteten aber nicht, dass sich Wohnungen und Häuser zwangsläufig um 20 oder 30 Prozent verbilligen müssten, sagte Mitropoulos. Dagegen sprächen auch die anhaltend niedrigen Zinsen und der Zustrom in die Städte. „Auch nach dem Wiedervereinigungsboom Mitte der 1990er kam es nicht zu einem Einbruch, sondern die Immobilienpreise stagnierten mehr als zehn Jahre lang oder sind leicht gefallen. Das kann sich so wiederholen.“
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